WAHRNEHMUNG, ZÖGERND ENTFALTET  


von Daniela Hölzl
Katalogtext (Auszug) 2005

 

„... constant in its swiftness as a pool.“ W.C.Williams

Nimm den Flug der Schwalben! Aber jedesmal wieder ist es nicht möglich, etwas durch etwas anderes zu beschreiben.

 

,fast nichts’ will die Malerei. Eine Falte im Gewebe des Sichtbaren schaffen, einem Rhythmus nachgehen, im Riß würde etwas figurieren (oder defigurieren). Ein Bild malen heißt, erst eine Fläche herstellen (den streng legitimierten Ort der figürlichen Einschreibung), heißt sie leer malen, weiß, bis die Textur der Leinwand offen daliegt. Ein anderes Feld entsteht, seine „ikonische Differenz“ wird durch Simultanität und Sukzession, durch die Gleichzeitigkeit verschiedener Erfahrungen definiert sein.

 

Dies ist eine Malerei der Flecken (und ruft die Landschaft einer Erinnerung hervor). ,Fleck’ ist zunächst eine Geste, angehaltene Bewegung. Zäsur und Unfall, der die Leinwand öffnet und negiert. Der Fleck setzt sich selbst und ein Gegenüber. Eine Vielzahl von Rinnspuren, nasse Felder, Abdrücke von anderen Bildern, die wie Blumen auskristallisieren, werden die Textur der Leinwand der seltsamen Logik der Spur aussetzen. Spuren tragen die Anwesenheit/die Abwesenheit ihrer Ursache als Bedeutung. Sie beziehen sich auf ,die Welt’ als indexalische Zeichen, auf sie hinweisend, ganz wie die Fotografie. Ein Gewebe von Zeichen, verzeitlichend/verräumlichend wie die Schrift, überzieht diesen Abschnitt, das ganze Format. Diese frühen Arbeiten kommen ohne Farbe aus; in schwarz-weiß-grau erinnern sie an die Verdichtungen der chinesischen Tusche-Malerei. Zugleich sollen dort das Bild, sein Motiv, der Maler und das Werden der Zeichnung zu sehen sein.

 

Eine Malerei aus Flecken ... der Fleck, macula, das Mal, malen. Die Malerei leitet sich her aus dem Ungeformten. Formlos ist der Anfang des Sehens, gesprenkeltes Glitzern. „L’informe“ nach dem Ausdruck von George Bataille das Mittel der Deklassierung, welches die strukturellen Oppositionen auszuhebeln, ihrer Gegenseitigkeit zu entgehen vermag. Die Ordnung des Zusammenfügens wird ausgesetzt, die Ähnlichkeit der „guten Gestalt“ wird unähnlich. Das ,Signé’ der Malerei enthält auch ihre Auflösung. Doch im Spiel von Nähe und Ferne setzt sich immer ein Bild zusammen – figurativ oder abstrakt. Martin Eiters Malerei hält diesen Moment in Schwebe, in sich wieder und wieder zurücknehmender Bewegung. Unabschließbar schwankt das Begriffspaar gegenständlich/ungegenständlich am Bildgrund. Nicht aufgelöst ist also die Ordnung der Struktur, eher aufgehoben, indem die Abwesenheit, ihre Nicht-Form, wirkt wie alles Sichtbare auch. Und dann: die Bilder scheinen oft um eine Leerstelle zentriert. Ein Loch, ein blinder Fleck, schält sich aus ineinanderliegenden Schichten und Feldern, die fast durchsichtig sind. Während Vorder- und Hintergrund, die Ebenen amorpher Formen und ihr textiler Träger nicht klar zu trennen sind, bleibt die Öffnung präsent. Es pulsiert hier nur eine leichte Verschiebung, eine Wiederholung, vielleicht eine Blickfalle. Zwischen den Schneeflocken, auf einem der schwarz/weiß Fotos, soll etwas Gestalt annehmen, im dichten Treiben. Aber die Flocken selbst ändern ihre Form, sie fallen dicht und schwer, werden wie Striche, oder tänzerisch zu Wirbeln.

 

 

 

 

„Es muß Tiefe geben, weil es einen Punkt gibt, von dem aus ich sehe, weil die Welt mich umgibt“, schreibt Merleau-Ponty in seinen Notizen zu „Das Sichtbare und das Unsichtbare“. Ein leichter Zweifel schwingt darin und ermöglicht das Bild, die Bilder. Für die Empfindung des ,In-der-Welt-sein’ kann kein Subjekt, kein Objekt isoliert werden. Bilder machen diese nicht-ursprüngliche Grenze sichtbar, entstehen um ihre Aufhebung herum. Ein bestimmtes Rot bildet „einen Knoten im Gefädel des Simultanen und kein Atom“; so beschreibt sich die Sichtweise der Flecken in dieser Malerei, nun da sie farbig geworden sind. Linien, Flächen enthalten keinen Hinweis auf eine Geschichte. Cadmiumgelb, Zinnoberrot oder ein stumpfes Grün: aus ihrem Gewicht, Ihrer Leuchtkraft erklärt sich nicht, wie es geschieht, wenn, ohne Verweis auf abstrakte Erzähltraditionen, Bedeutung entsteht, nur im Zusammentreffen von Nicht-Bedeutendem.

 

Flechtwerk, „entre-lacs“: In der Verschränkung des Geflechts sind Fläche und Materialität der Bilder durchwirkt von technischen und symbolischen Ebenen. Ihre Erscheinung ist eher durchbrochen, denn verwoben. H.Damisch nennt die Wirksamkeit der „Unterseiten“ der Bilder Verknotung, nicht Ineinanderliegen von Welt und Wahrnehmung. Diese Konfusion des Figur/Grund/Verhältnisses durchzieht die gesamte Arbeit von Martin Eiter. Die Auflösung von Wahrnehmung in Schneetreiben liegt im ,Umspringen’ von Fläche und Form. Wenn leicht schmutziges Grau, etwas zartes Rosa durch einen schiefen, angedeuteten Bogen zu einem weiten Feld sich öffnen und links, kohlschwarz wie Raben, zerfledderte Flecken ganz an der Oberfläche gesetzt sind, hält sich das Bild in einem offenen Spannungsverhältnis von Fläche und Malerei. Das nicht reduzierbare Paradox der „flachen Tiefe“ und eine daraus resultierende Dichte, Dickheit, bilden das Grundparadigma der modernen Malerei. „Ein Bildnis enthält zugleich Abwesendes und Gegenwärtiges, Angenehmes und Unangenehmes“, schreibt Pascal und fügt hinzu: „die Wirklichkeit schließt Abwesenheit und Mißfallen aus“. Im Bild, als einer immateriellen Textur, besitzen die Abwesenheiten positive Existenz; so wird die Malerei zum Modell unseren komplexen Wesens. Vor den Flecken und den Linien kommen die Knoten. Ihr logischer Vorrang erweist sich aus ihrer Topologie – nicht sichtbarer Einschnitt, Koinzidenz.

Ein Knoten bezeichnet den Ort, an dem etwas statt hat, sich ereignet. Er ist der Sturz die Treppe hinab und die Form des Teichs – seine stete Veränderung im sanften Schlag der Wellen gegen die Böschung wird sichtbar, als ein Vogel jäh auffliegt vom Ufer.

 

 

 

 

Perception, gradually unveiled

 

“... constant in ist swiftness as a pool.“ W.C. Williams

 

’swift’ : ’apus apus’

Take the flight of swallows ! But it is not possible to once again describe something in terms of something else.

 

’Almost nothing’ is what painting is after. Creating a fold in the tissue of the visible, tracing a rhythm, with something figuring (or disfiguring) in the fissure. To paint a picture first means to create a surface (the strictly legitimized locus of figural inscription), means painting it empty, white, until the texture of the canvas lies there bare. A different field evolves, its “iconic difference“ becoming defined by simultaneity and succession, by the co-existence of differing experiences.

 

This is a painting of spots (evoking a landscape of memory). ’Fleck’ (spot) is first a gesture, halted movment. Caesura, something accidental opening and negating the canvas. The spot posits itself and a counterpart. A multitude of rivulets, wet fields, imprints of other pictures that crystallize like flowers, subjecting the texture of the canvas to the strange logic of the trace. Traces bearing the presence/the absence of their origin as meaning. They refer to ’the world’ as an indexical sign, indicating it in the same way as a photograph. A texture of signs, temporalizing/spatializing similar to text, covering this section, that is to say: the format in its entirety. These early works can make do without color. In black-white-gray they resemble the condensations of traditional Chinese ink painting. At the same time the picture, its motif, the painter and the emergence of the drawing are to be made visible.

 

A painting consisting of spots ... the spot, macula, what in German is referred to as the ’Mal’ (in allusion to the different meanings of this word: mark, brand, sign, stigma.) Painting is derived from something amorphous. Formless is the beginning of vision, a mottled glitter. “L’informe“, which in keeping with George Bataille’s strategy of subverting all attempts at classification, undermines structural oppositions and evades their reciprocity. The order of composition is suspended, the similarity of the “good form“ becomes dissimilar. The ’signé of painting also implies its dissolutions. Yet in the play of proximity and distance an image continues to emerge – be it figuratively or abstractly. Martin Eiter’s painting keeps this moment suspended, in movement that he again and again takes back. Open-ended, the dichotomy of figurative/non figurative hovers over the ground of the picture. The overall structure is thus not dissolved but rather superseded thanks to the fact that absence, ist non-form, has an effect like everything visible. But then again the picture often seem centered around a blank spot – a hole, a blind spot, emerging from intercalated layers and fields that are almost transparent. While the foreground and background, the levels of amorphous shapes and their textile surface cannot be clearly delineated, the opening remains tangibly present. Here only a slight shift pulsates, a repetition, perhaps a visual trap. Between the snowflakes in one of the black and white photos something is meant to take shape in the dense flurries. But the flakes themselves change their form, they fall thickly and heavily, become like lines or dance like whirlwinds.

 

“There must be depth since there is a point from which I see, since the world surrounds me“, Merleau-Ponty wrote in his notes on “The Visible and the Invisible“. There’s a slight doubt resonating in this, but it is what makes it possible for the picture, the picture to emerge. For the sensation of ’being-in-the-world’ no subject, no object can be isolated. Pictures make this non-original boundary visible, emerge around its dissolution. A certain red creates “a node in the threads of the simultaneous but not an atom“. This is how the impact of the spots in these paintings might be described now that they have assumed color. Lines, surfaces contain no reference to a story. Cadmium yellow, vermilion or a dull green. Their wheight, their luminosity does not explain anything, does not say what happens, when without reference to any narrative tradition of abstraction, meaning emerges only in the encounter with non-significant.

 

Wickerwork, “entre-lacs“: It is in the texture that the surface and materiality of the paintings merge with technical and symbolic levels. Their appearance is rather brocken, woven. H. Damisch describes the effect of the “underside“ of the pictures as a knotting and not as fusion of world and perception. This confusion of the figure/ground/relation prevades Martin Eiter’s entire work. The dissolution of perception in snow flurries can be seen in the ’turn’ from surface and form. A slightly dirty gray, some soft pink peers through an oblique arch, one simply alluded to, to a wide field and to the left, black as a raven, tattered spots are placed on the surface. Thus the picture remains suspended in an open tension of surface and painting. The non-reducible paradox of “flat depth“ and the resulting density or thickness constitute the basic paradigm of modern painting. “An image contains something that is both absent and present, pleasant and unpleasant“, Pascal writes, adding: “reality excludes absence and displeasure“. In the painting, as an immaterial texture, the absences function as a positive existence. Thus painting becomes a model for our intrinsic complex essence. The spots and lines are preceded by the nodes. The logical primacy of the latter results from their topology, a non-visible incidence, coincidence.

A node designates an event, a place where something happens. It is like tumbling down the staircase or the constantly changing shape of a pond in the gentle beat of the waves against the embankment, only becoming visible once a bird sets flight.

 

Text: Daniela Hölzl 2005

Translated by Camilla Nielsen